C. Günther, Dr. A. Jahreiß
Ausgewählte Beispiele zu einem geographischen Thema der Sekundarstufe
In Schule und Unterricht wird Heterogenität häufig mit Schlüsselbegriffen wie Individualisierung und Binnendifferenzierung in Zusammenhang gebracht. Die pädagogische und fachdidaktische Literatur richtet allerdings bei Differenzierungskonzepten den Fokus eher selten auf Begabungs- und Begabtenförderung.
Im Folgenden sollen für den Geographieunterricht entwickelte Ansätze zur inneren Differenzierung diskutiert werden. Anschließend sind – bezogen auf verschiedene Begabungsbereiche – die für eine entsprechende Förderung geeigneten Unterrichtsmethoden zusammengestellt. In Auswahl erfahren sie eine praxisbezogene Konkretisierung anhand eines geographischen Themas der Sekundarstufe.
Binnendifferenzierung – Kategorisierungskonzepte
Im geographiedidaktischen Diskurs hat auf der Basis allgemein-pädagogischer Überlegungen Flath (2006) ein Konzept zur inneren Differenzierung (Abb. 1) vorgestellt, das – den Leitgedanken nach Organisation und Voraussetzungen von Lerngruppe(n) folgend – in didaktisch-methodische und lerngruppenbezogene Differenzierung trennte.
Diese Systematik entwickelte Reuschenbach (2010) weiter (Abb. 2). Ausgangspunkt waren Überlegungen zur Heterogenität, die eine Binnendifferenzierung hinsichtlich Lerngruppenbezogenheit einerseits und methodischen Aspekten qualitativer und quantitativer Art andererseits nahelegte.
Bahr (2013) versuchte einen neuen Weg (Abb. 3), indem er Konzepte des Lehrens und Lernens in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellte und Möglichkeiten
der Binnendifferenzierung nach geschlossenen und offenen Formen kategorisierte.
In Folge plädierte Uhlenwinkel (vorrangig 2013) für eine deutlichere Abgrenzung der Differenzierungsformen in geschlossenen und offenen Arrangements (Abb. 4). Sie favorisierte in einem neuen Ansatz eine Systematisierung, die Lernwege der Lerngruppe(n) zu beleuchten. Bei dieser, aus dem angelsächsischen Raum entlehnten Einteilung wurde der Gedanke berücksichtigt, dass Lernprozesse nicht immer zu demselben Ergebnis führen müssen, sondern gewonnene Erkenntnisse unterschiedlich sein können.
Dieses Konzept griff Rendel (2013) nochmals auf und stellte es in den Kontext der Unterrichtsgestaltung (Abb. 5). Als Prinzip findet es nun nicht nur in der Erarbeitung, sondern in allen unterrichtlichen Phasen eine Berechtigung.
Betrachtet man alle diese Vorschläge der Geographiedidaktik zur Binnendifferenzierung, ist die Begabungs- bzw. Begabtenförderung zwar meist in irgendeiner Form bei den Ordnungsschemata berücksichtigt, aber nicht explizit und auch nicht als Leitgedanke in den Mittelpunkt der Kategorisierungen gerückt.
Fokus Begabungs- und Begabtenförderung
Wird die Begabungs- und Begabtenförderung als ein zentrales Anliegen der Unterrichtsgestaltung verfolgt, kann der Vorschlag von Uhlenwinkel (2012), eine Systematik nach Lernstilen zu erstellen, fruchtbar gemacht werden (Abb. 6). Aus der angelsächsischen Literatur übernommen, definieren sich Lernstile – im Gegensatz zum Lerntyp – nicht über die Informationswahrnehmung mit unterschiedlichen Sinnen, sondern über verschiedene Formen der gedanklichen Auseinandersetzung und Informationsverarbeitung bei der Erkenntnisgewinnung.
Für den Geographieunterricht sind vor allem in fachlicher Hinsicht die vier Lernstile verbal-sprachlich, mathematisch-logisch, räumlich-visuell und kinästhetisch-physisch relevant:
- Der verbal-sprachlich Lernende bevorzugt zur Informationsaufnahme, -verarbeitung und Ergebnisdarstellung textgestützte Medien oder Daten und favorisiert kommunikative Denkprozesse.
- Der mathematisch-logisch Lernende setzt sich mit Zahlen, Mustern und Strukturen auseinander und wird von logischen Denkprozessen geleitet.
- Der räumlich-visuell Lernende verarbeitet Informationen über bild- oder kartengestützte Medien bzw. Daten und untermauert seine Denkprozesse durch Zeichnungen oder Orientierungsskizzen.
- Der kinästhetisch-physisch Lernende greift auf Gegenstände bzw. Modelle zurück und entwickelt seine Denkprozesse über Bewegung, Tätigkeit, teilweise auch mit Körpersprache.
Zur Auseinandersetzung mit geographischen Themen werden in der Regel alle diese Lernstile benötigt. Untersuchungen (vgl. dazu Uhlenwinkel 2012, S. 336-338 und 2013a, S. 42-43) haben ergeben, dass Schülerinnen und Schüler aktiv meist nur auf ein oder zwei der genannten Lernstile zurückgreifen und sich so Präferenzen ausbilden.
Werden diese bevorzugten Lernstile jeweils als Stärken interpretiert, kann aus pragmatischen Gründen auch von Begabungen oder von besonderen Begabungen gesprochen werden. Eine entsprechende Förderung erfolgt dann, wenn es gelingt, in einem ersten Schritt Stärken, aber auch eventuelle Schwächen in anderen Bereichen der Informationsaufnahme und -verarbeitung wahrzunehmen. In einem zweiten Schritt sind gezielte Unterstützungs- und Übungsimpulse zu setzen, um Stärken zu stärken und Schwächen abzubauen bzw. auszugleichen (vgl. dazu nochmals Abb. 6).
Abbildung 7 veranschaulicht graphisch Stärken bzw. Begabungen in den für das Fach Geographie besonders relevanten vier Bereichen. Werden sie über eine Kombination von Differenzierungsmethoden in Unterrichtsphasen individuell bewusst und auftretende Schwächen in den Reflexionsprozess einbezogen, kann eine gezielte Weiterentwicklung der Schülerinnen und Schüler eingeleitet werden. Dieses Konzept eignet sich, eine individuelle begabungsorientierte Förderung – auch in einem ein- bis zweistündigen Fach – über eine adäquate Unterrichtsgestaltung zu verfolgen. Voraussetzung dafür ist einmal, dass sich Lehrkräfte von der Idee des „Durchschnittsschülers“ bzw. der „Durchschnittsschülerin“, an der sich die Unterrichtsplanung orientiert, verabschieden. Des Weiteren müssen Pädagogen die Vorstellung aufgeben, dass alle Schülerinnen und Schüler im Fachunterricht zu gleichen oder gleichwertigen Lernergebnissen kommen sollten. Schließlich sind Diagnostikverfahren zur Erhebung von besonderen Stärken und Begabungen (vgl. dazu für den Geographieunterricht ein praxistaugliches Instrument: Uhlenwinkel 2008, S. 7-8) sowie Zeiträume für reflexive Förderdiagnostik bei der Unterrichtsorganisation und -gestaltung einzuplanen.
Wird all dies stärker berücksichtigt, gelingt es, für Lernende und Lerngruppe(n) passgenaue und praktikable Unterrichtsarrangements zusammenzustellen. Hierzu steht eine breite Palette mit begabungsbezogenen Differenzierungsmethoden zur Verfügung.
Methodenkiste – ein Instrument zur begabungsbezogenen Differenzierung
Mehrere Methoden lassen sich zur begabungsbezogener Differenzierung im Unterricht einsetzen. Die folgende Zusammenstellung in alphabetischer Reihenfolge (Abb. 8) erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ablesbar ist die vorrangige didaktische Verortung der Methoden in verschiedenen Unterrichtsphasen. Von den vier Begabungsbereichen verbal-sprachlich, mathematisch-logisch, räumlich-visuell und kinästhetisch-physisch sind jene stets farbig hervorgehoben, welche mit der jeweiligen Methode im Geographieunterricht der Sekundarstufe bewusstgemacht werden können. Im Zusammenspiel mit der Wahrnehmung von Defiziten in anderen Feldern lässt sich ein reflexiver Förderprozess einleiten. Ausführliche Methodenbeschreibungen finden sich in der angefügten Fundgrube mit Literaturhinweisen.
Methodenbeispiele zum Unterrichtsthema Vulkanismus
Beim Thema Vulkanismus werden im Geographieunterricht neben den naturwissenschaftlichen Inhalten in vielschichtiger Weise auch geschichtliche, wirtschaftliche und soziale Aspekte beleuchtet. Der Lernbereich ist verankert im bayerischen LehrplanPlus aller weiterführenden Schularten (Mittelschule: GPG 6 LB 1, Realschule: Geo 5 LB 3, Gymnasium: Geo 7 LB 3 und Geo 11 LB 7, vgl. www.lehrplanplus.bayern.de ).
Im Folgenden wird keine sachlogisch aufgebaute Sequenz vorgestellt. Vielmehr sind für die einzelnen Unterrichtsphasen – in isolierter Betrachtung – adäquate, begabungsbezogene Differenzierungsmethoden beschrieben und am Themenfeld Vulkanismus unterrichtspraktisch konkretisiert. Je nach Lehr-Lern-Arrangement können dabei Einzelaktivitäten mit kooperativen Lernformen variabel kombiniert werden.
Ausgewählt wurden für den Unterrichtseinstieg und zum Entwickeln inhaltlicher Fragen die Graffiti-Methode , für die Erarbeitungsphase die Methode Experimentieren , um Erkenntnisse zu gewinnen sowie die Methode Museumsgang / Galerie zu Präsentationszwecken. Für die Phase der Ergebnissicherung wird die Methode Verabredungskalender genauer vorgestellt. Als Beispiel einer begabungsbezogenen Differenzierungsmethode, die in der Phase Reflexion – Übung / Vertiefung einsetzbar ist, wird auf die Zielscheibe gekoppelt mit dem Studierbuch zurückgegriffen.
Ausblick
Eine Aufgabe der Fachdidaktik wird es sein, zukünftig mehr theoriegeleitete, begabungsbezogene Unterrichtsarrangements einschließlich Materialien zu verschiedenen Themen (wie z.B. bei Hemmer u.a. 2015, S. 15 für das Problemfeld Klimawandel und Landwirtschaft oder Uhlenwinkel 2013b, S. 46-49 für Konflikte in Cityerweiterungsgebieten) zu entwickeln. In Zusammenarbeit mit Lehrkräften sind diese hinsichtlich ihres Förderpotentials zu evaluieren und als erprobte Beispiele zu publizieren, um auf diese Weise Begabungs- bzw. Begabtenförderung fachbezogen in den Unterrichtsalltag stärker zu implementieren.
Literatur
Zusätzlich zur aufgelisteten Literatur in Abbildung 8:
Ahlring, I. (2000): Es führen viele Wege nach Rom. Muster und Module binnendifferenzierten Unterrichts. In: Praxis Schule 5-10 10, 6 (2000), S. 8-14.
Andrew-Evans, J. (2006): Improving learning through preferred learning styles. In: Teaching Geography 1 (2006), p. 9-13.
Bahr, M. (2013): Der Vielfalt mit Vielfalt begegnen - Binnendifferenzierung im Geographieunterricht. In: Praxis Geographie 6 (2013), S. 4-9.
Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Hrsg. 2014 ff.): LehrplanPlus. München. www.lehrplanplus.bayern.de(letzter Aufruf: Oktober 2016)
Bayrhuber, H. u.a. (2005): Unsere Erde. Für Kinder, die die Welt verstehen wollen. Seelze-Velber.
Flath, M. (2006): Differenzierung im Geographieunterricht: Ja! Aber wie? In: Praxis Geographie 12 (2006), S. 62-64.
Hemmer, I. u.a. (2015): Der Klimawandel im Geographieunterricht. In: Der Bayerische Schulgeograph 77 (2015), S. 7-15.
Höhnle, St. u.a. (32014): Differenzierung im Geographieunterricht. In: Eisenmann, M. u.a. (Hrsg. 32014): Heterogene Klassen - Differenzierung in Schule und Unterricht. Baltmannsweiler, S. 155-172.
Hunt, M. e.a. (2001): Differentiation by skills. In: Teaching Geography 1 (2001), p. 16-21.
Gardner, H. (2006): Multiple Intelligences. New Horizons. New York.
Krüger, D. u.a. (2009): Binnen - kurzer Zeit - differenzieren. In: Unterricht Biologie 347/348 (2009), S. 3-10.
Paradies, L. u.a. (2001): Lerngruppendifferenzierter Unterricht. In: Arnold, K.-H. u.a. (Hrsg. 2006): Handbuch Unterricht. Bad Heilbrunn, S. 345-351.
Rawding, C. e.a. (2004): Achieving effective differentiation in geography. In: Teaching Geography 1 (2004), p. 19-22.
Rendel, A. (2013): Fördern und Fordern - mit Differenzierung im „Nebenfach“ zum Lernerfolg? In: Terrasse online (2013), S. 1-6. www.klett.de (letzter Aufruf: September 2016)
Reuschenbach, M. (2010): Individualisierung im Geographieunterricht. Oder: Die überfällige Berücksichtigung einer längst bekannten Variable. In: Geographie heute 285 (2010), S. 2-9.
Uhlenwinkel, A. (2006): „Todos diferentes - todos iguales“. Binnendifferenzierung als theoretische und praktische Herausforderung für den Geographieunterricht. In: Zolitschka, B. (Hrsg. 2006): „Buten un binnen - wagen un winnen“. In Bremen Geographie erleben. Tagungsband zum 30. Schulgeographentag in Bremen 2006 (= Bremer Beiträge zur Geographie und Raumplanung 42). Bremen, S. 145-149.
Uhlenwinkel, A. (2008): Binnendifferenzierung im Geographieunterricht. In: Praxis Geographie 2 (2008), S. 4-8.
Uhlenwinkel, A. (2012): Binnendifferenzierung. In: Haversath, J.-B. (Mod. 2012): Geographiedidaktik. Theorie - Themen - Forschung. (= Das Geographische Seminar). Braunschweig, S. 330-343.
Uhlenwinkel, A. (2013a): Binnendifferenzierung. In: Rolfes, M. u.a. (Hrsg. 2013): Metzler Handbuch 2.0 Geographieunterricht. Ein Leitfaden für Praxis und Ausbildung. Braunschweig, S. 39-45.
Uhlenwinkel, A. (2013b): Das geographische Konzept place binnendifferenziert erschließen. Konflikte in den Londoner Cityerweiterungsgebieten Shoreditch und Spitalfields. In: Praxis Geographie 6 (2013), S. 44-49.
Themenhefte für den Geographieunterricht
Binnendifferenzierung. Praxis Geographie 3 (2008).
Binnendifferenzierung. Individuelle Lernwege anbieten. Praxis Geographie 6 (2013).
Individualisierung. Geographie heute 285 (2010).