Portal Besonders Begabte finden und fördern

U. Becker, Dr. A. Hereth

„Begabung, Talent, Intelligenz, Kompetenz, Skills, Fähigkeiten, Fertigkeiten etc.“, mit dieser Aufzählung verdeutlichen E.Stern und A.Neubauer (Stern/Neubauer, 2013), wie viele Begriffe die deutsche Sprache zur Verfügung hat, um Unterschiede in der kognitiven  Leistungsfähigkeit von Menschen zu beschreiben. Das lädt zur Verwirrung ein, zumal wenn Eltern im Gespräch mit der Lehrkraft die besondere Begabung ihres Kindes auf dem Gebiet XY hervorheben oder auf eine getestete Hochbegabung hinweisen.

 

Hier können Sie einen Vortrag von Prof. Dr. Christoph Perleth hören, der im Februar 2021 aufgezeichnet wurde. In diesem erläutert er zunächst eine Definition für "Begabung und Hochbegabung" des International Panel of Experts for Gifted Education (= IPEGE) und stellt dann das Münchner Hochbegabungsmodell ausführlich sowie Weiterentwicklungen und Verwandte des Modells kurz vor.

(Zum Öffnen oder Herunterladen der Datei benötigen Sie ein Power Point Programm)

 

 muenchnerHochbegabung

 

 

 

 Expertiseforschung

Ziegler (Ziegler, A. 2005, S. 411-434) entwickelte den Aktiotop-Ansatz in dem die langfristig angelegten Lernprozesse, welche es einem Kind ermöglichen, sein Potential zu entfalten, fokussiert werden pdf

  • Er fordert, Kinder dabei zu unterstützen, sich immer wieder neue, anspruchsvolle Ziele zu setzen.
  • Er benennt Qualitätsmerkmale für die Personen (= Mentoren), die solche Potentiale fördern.
  • Er versucht die adäquate und sich angepasst entwickelnde  Lernumwelt zu beschreiben.
  • Er betont die Notwendigkeit langfristiger Fördermaßnahmen, denn nur so können diese wirksam sein.

Ziegler postuliert, dass exzellente Leistungen in einzelnen Bereichen erst nach etwa 10.000 Stunden der Beschäftigung mit einer Domäne – z.B. dem Spielen eines Musikinstrumentes, der Einarbeitung von und die Auseinandersetzung mit einem wissenschaftlichen Fachgebiet – erbracht werden. Dafür werden durchschnittlich mehr als zehn Jahre benötigt. Begabungsförderung sollte deshalb so früh wie möglich beginnen, langfristig angelegt sein und durch eigens entwickelte und stets anspruchsvoller werdende Curricula sowie – von fachlich herausragenden und in Hinblick auf das Thema Begabung kompetenten – Mentoren begleitet werden.

 

Weiterführende Informationen

Hier finden Sie vom "National Center of Competence" einen Text zum Thema Was ist Begabung?pdf

 

Intelligenz

Das psychologische Konstrukt „Intelligenz“ ist für die meisten Experten, die sich mit Hochbegabung oder besonderer Begabung beschäftigen, ein wichtiger, unverzichtbarer Begriff. Er wird von allen mit diesem Thema befassten Wissenschaftlern verwendet. Einigkeit besteht hinsichtlich der Definition:

„Intelligenz ist die Fähigkeit, aus Erfahrungen Nutzen zu ziehen und das Gegebene in Richtung auf das Mögliche zu überschreiten.“ (Zimbardo,1995, S. 528).“

Intelligenz setzt sich zusammen aus

    1. der Anpassung an neue Situationen und sich verändernde Anforderungen,
    2. dem Lernen oder der optimalen Nutzung von Erfahrung oder Übung,
    3. dem abstrakten Denken und dem Gebrauch von Symbolen und Begriffen (vgl. Zimbardo, 1995, S. 533).

Es existieren jedoch unterschiedliche Intelligenz-Konzepte. Zwei deutlich konträre Ansätze sind z.B.:

  • Das Konzept der multiplen Intelligenzen von Howard Gardner stellt verschiedene Begabungsbereiche von mathematischer, emotionaler bis moralischer „Intelligenz“ nebeneinander. Nach seiner Auffassung kann ein Kind emotional über außerordentliche Fähigkeiten verfügen, zu Mathematik aber keinerlei Zugang haben. Damit wird der Intelligenzbegriff stark ausgeweitet und ist wissenschaftlich nur schwer fassbar.
  • Die Zwei-Faktoren-Theorie, zuerst von Charles Spearman vorgestellt, geht einerseits von einem allgemeinen Faktor der Intelligenz aus, der alle Leistungsbereiche beeinflusst, und andererseits von spezifischen Intelligenzfaktoren, die dem allgemeinen Faktor hierarchisch untergeordnet und bereichsspezifisch sind. Die verschiedenen Modelle nennen hierbei übereinstimmend allesprachliche, visuell-räumliche und rechnerische / mathematische Fähigkeiten als spezifische Intelligenzfaktoren.

Forscher, die sich mit dem Thema Hochbegabung beschäftigen, orientieren sich am zweiten Intelligenz-Ansatz. Für sie ist es wichtig, die Gruppe der Hochbegabten mit Hilfe von IQ-Tests, die auf der Basis kognitiver Modelle entwickelt worden sind, eingrenzen zu können. Für das Konzept der multiplen Intelligenz liegen keine Tests vor, die der empirischen Überprüfung standhalten.

Die statistische Definition legt fest, dass ein Mensch hochbegabt ist, wenn er im Intelligenztest einen Intelligenzquotienten (= IQ) von 130 oder mehr erreicht. Der statistische Mittelwert des IQs liegt bei 100. Wenn also die gemessenen kognitiven Fähigkeiten einer Person mindestens um zwei Standardabweichungen besser sind als beim Durchschnitt ihrer Altersgruppe, wird sie als hochbegabt bezeichnet.

Normalverteilung 700

 

Die Definition von Detlef Rost

Eine Person ist intellektuell ,hochbegabt‘, wenn sie

  • sich schnell und effektiv deklaratives und prozedurales Wissen aneignen kann,
  • dieses Wissen in variierenden Situationen zur Lösung individuell neuer Probleme adäquat einsetzt,
  • rasch aus den dabei gemachten Erfahrungen lernt und
  • erkennt, auf welche neuen Situationen bzw. Problemstellungen die gewonnenen Erkenntnisse transferierbar sind (Generalisierung) und auf welche nicht (Differenzierung). (Sparfeldt, Rost & Lemme, 2009, S. 4)

 

 

 

 Bewertung von Testergebnissen

Kritiker sehen Testergebnisse als willkürliche Festlegung, zumal bei allen psychologischen Testverfahren nur Wahrscheinlichkeitsaussagen gemacht werden können und damit auch nur ein Korridor benannt werden kann, in dem sich der wahre Testwert bewegt.

Auch der Zeitpunkt der Testung ist zu berücksichtigen. Eine Intelligenztestung im Vorschul- oder frühen Grundschulalter kann nur bedingt als langfristig zuverlässig betrachtet werden. Testwerte in IQ-Tests sind nach neueren Forschungen erst ab einem Alter von 11-12 Jahren so stabil, dass Prognosen bis ins Erwachsenenalter gewagt werden können.

Die besonderen Fähigkeiten eines Schülers oder einer Schülerin werden im Elterngespräch immer eine große Rolle spielen, eine Verengung allein auf das kognitive Potential verstellt allerdings den Blick auf andere Kompetenzen und Fähigkeiten, die das Kind schon und/oder darüber hinaus zeigt.

Aus pädagogischer Sicht ist der Wert, den ein Kind in einem Intelligenztest erreicht hat, nur ein Hinweis auf sein Potential und keine unveränderliche Größe. Damit sich das Potential zeigen kann, sind eine Vielzahl von Faktoren von Bedeutung, wie z.B.:

  • das familiäre Umfeld,
  • die Freundesgruppe,
  • die Motivation, die das Kind schulischen Aufgaben und Themen entgegenbringt,
  • die Interessen, die sich entwickeln oder schon ausgebildet haben,
  • die Konzentrationsfähigkeit,
  • die persönlichen Voraussetzungen (wie z.B. ein phlegmatisches vs. ein agiles Wesen)

 

 

Literatur

  • Heller, K. A. (Hg) (2000, 2. vollständig überarbeitete Auflage) Lehrbuch Begabtendiagnostik in der Schul- und Erziehungsberatung. Verlag Hans Huber
  • Neubauer, A. C. & Stern, E. (2013) Intelligenz – Große Unterschiede und ihre Folgen. DVA München
  • Sparfeldt, J. R. ; Rost, D. H. & Lemme, J. (2009) Hochbegabung und Hochbegabte. Besondere Kinder in besonderen Situationen? Zeitschrift für Schulverwaltung, 11 (1) 4 – 6 
  • Ziegler, A. (2005) The actiotop model of giftedness. In: R. Sternberg & J. Davidson. Conceptions of Giftedness. 411-434. New York: Cambridge University Press
  • Zimbardo, Ph. G (1995, 6. Auflage) Psychologie. Springer