C. Günther, Dr. A. Jahreiß
Denk ’mal!
Begabungsorientierte Lernbausteine zum Thema Räume nutzen und schützen in Jahrgangsstufe 3/4, aufgezeigt am Beispiel des Steigerwalds
Welch’ große Rolle Denken in unterschiedlichen Lebenssituationen spielt, spiegelt sich bereits in unserem Wortschatz. Die Wortfamilie (z.B. durchdenken, überdenken, ausdenken, nachdenken, bedenken, vordenken, mitdenken, gedenken) lässt die Vielfalt an alltäglichen Denkleistungen erahnen. Denken als Vorstufe von ziel-, ergebnis- und lösungsorientiertem Handeln hat in unserer Gesellschaft eine zentrale Bedeutung und sollte deshalb bereits in der Grundschule gefordert und gefördert werden.
Intention des Unterrichtsbeispiels Denk ’mal! ist es, begabungsorientierte und das Denken betonende Lernbausteine vorzustellen: Grundschulkinder werden mit Hilfe von Lehr- und Lerntechniken zu Denkprozessen angeregt und setzen sich entsprechend ihres Begabungspotenzials differenziert mit einem konkreten Inhalt, dem Themenfeld Räume nutzen und schützen, auseinander. Als Raumbeispiel wird der Steigerwald gewählt.
Der Steigerwald ist ein Mittelgebirge im nordwestlichen Teil Bayerns. Er hat Anteile an den drei Regierungsbezirken Ober-, Unter- sowie Mittelfranken und liegt zwischen den Städten Würzburg, Schweinfurt, Bamberg und Nürnberg. In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder aufgrund des sehr alten Rotbuchenbestandes Überlegungen, Teile des Waldes als Schutzgebiete (z.B. als Naturschutzgebiet, Nationalpark, UNESCO-Weltnaturerbe) auszuweisen, was zu heftigen Diskussionen führt(e): Die Befürworter verbinden damit einen Beitrag zum Naturschutz und zum Ausbau des sanften Tourismus. Die Gegner fürchten, dass die betroffenen Bereiche forstwirtschaftlich nicht mehr nutzbar seien und plädieren für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung und Holzverwendung.
Mit Denk ’mal! im Titel dieses Beitrags wird auf den Rotbuchenbestand im Steigerwald als (Natur)Denkmal verwiesen. Gleichzeitig ist Denk ’mal! eine Aufforderung an Kinder, sich mit der komplexen Fragestellung, den Steigerwald zu nutzen und zu schützen, entsprechend ihres Begabungspotenzials differenziert auseinanderzusetzen.
Denken und Begabung im unterrichtlichen Kontext
Die Ausprägung dieser geistig-handelnden Auseinandersetzung lässt Rückschlüsse auf das individuelle Begabungspotenzial der Schülerinnen und Schüler zu. Das Spektrum an Durchdringungsformen reicht dabei vom logischen, vernetzten Denken, reziproken und prognostischen Denken, Denken in verschiedenen Perspektiven und Maßstabsebenen, analytischen, systemischen und hermeneutischen, generalisierenden, abstrahierenden Denken, kreativen, differenzierenden, alternativen Denken bis hin zum reflexiv-diskursiven Denken oder zum systematischen, Kriterien bezogenen Denken. Die besondere Begabung zeigt sich darin, inwieweit es in der gedanklichen Auseinandersetzung gelingt, diese verschiedenen Komponenten sachgerecht und kontext- bzw. situationsbezogen miteinander in Beziehung zu setzen, um im Anschluss daran adäquate Handlungen abzuleiten.
Zu einer Differenzierung der Begabungspotenziale kann die Komponentenmatrix in Tabelle 1 herangezogen werden. Die Zusammenstellung beruht nicht auf einer empirischen Überprüfung und versteht sich primär als Vorschlag eines Instrumentariums für die Unterrichtspraxis.
Im Heimat- und Sachunterricht der Grundschule hat die geistig-handelnde Auseinandersetzung mit raumbezogenen Sachverhalten und Lebenssituationen im Sinne der Kompetenzorientierung einen deutlichen Stellenwert.
Abbildung 1 setzt mögliche Unterrichtsbausteine, Denkprozesse und Techniken der Begegnung, Durchdringung sowie Lösung derartiger Fragestellungen in Beziehung.
In einem Lehr-Lern-Arrangement können die verschiedenen Unterrichtsbausteine Phänomene/Konflikte, Struktur/Ordnung, Analyse/Synthese, Reflexion/Diskussion, Beurteilung/Bewertung und Handlung/Gestaltung flexibel kombiniert und angeordnet werden.
Den einzelnen Unterrichtsbausteinen sind dominierende Denkprozesse wie beispielsweise vergleichen, Gruppenoder Reihenfolgen bilden oder Zusammenhänge aufzeigen zugeordnet. Derartige Denkprozesse lassen sich durch darauf abgestimmte Lehr- und Lerntechniken anstoßen und steuern. Besonders eignen sich Techniken des Fragens und Informierens, Techniken des Planens und Modellierens, Techniken des Arbeitens mit Modellen und Visualisierens, Techniken des Prüfens, Argumentierens und Erörterns, Techniken des Entscheidens und Bewertens sowie Techniken des Präsentierens und Motivierens.
Lehrplanbezug des Unterrichtsbeispiels
Im bayerischen LehrplanPLUS HSU sind für Jahrgangsstufe 3/4 im Lernbereich 5 Raum und Mobilität im Kapitel 5.2 Räume nutzen und schützen u.a. folgende Kompetenzerwartungen (LEHRPLANPLUS GRUNDSCHULE 2014, S. 248) ausgewiesen:
Die Schülerinnen und Schüler
- erklären, inwiefern bestimmte Interessen Einfluss auf die Veränderung und Gestaltung von Räumen haben.
- erläutern anhand eines Beispiels aus der Region die Verflechtung zwischen natürlichen und kulturellen Einflüssen (z.B. Tourismus, Mobilität, Landwirtschaft, Holzindustrie).
An der Region Steigerwald kann dazu als Inhalt zu den Kompetenzerwartungen besonders auf den Bereich Schutz von Natur und Kultur in Räumen Bezug genommen werden. Neben den angeführten inhaltsbezogenen Kompetenzen werden im Unterrichtsbeispiel die prozessbezogenen Kompetenzen Fragen stellen, Erkennen und verstehen, Eigenständig und mit anderen zusammenarbeiten, Kommunizieren und präsentieren, Reflektieren und bewerten, Handeln und umsetzen berücksichtigt (LEHRPLANPLUS GRUNDSCHULE 2014, S. 82-84).
Konzeption der Unterrichtsbausteine
Das Unterrichtsbeispiel Denk ’mal! ist in Modulform angelegt. Die einzelnen Unterrichtsbausteine sind in einem offenen oder gebundenen Konzept durchführbar und kombinierbar. Die benötigte Unterrichtszeit hängt von der Lern- und Leistungsbereitschaft der Kinder ab.
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Den beigefügten Arbeitsblättern wird mit Tabelle 2 eine Übersicht vorangestellt. Sie ordnet den Unterrichtsbausteinen mit Hinweisen zu Materialien (Pakete 1 bis 6) und zur Einschätzung des Begabungspotenzials entsprechende Lehr- und Lerntechniken zu, die Denken unterstützen. Offene Aufgabenstellungen ermöglichen den Kindern mit unterschiedlichen Begabungspotenzialen eine für sie stimmige Beschäftigung. Die Aufgaben sind stets nach dem Prinzip persönliche Auseinandersetzung, Austausch in der Kleingruppe sowie evtl. im Klassen-(Kreis-)Gespräch konzipiert. Ergebnisse können individuell zugeordnet und persönliche Begabungsausprägungen abgeleitet werden (vgl. als Instrument Tabelle 1). Sie lassen sich beispielsweise in einem Lerntagebuch oder Portfolio sammeln und bieten der Lehrkraft die Möglichkeit, Rückmeldung und Tipps im Sinne einer individuellen Begabungsförderung zu geben.
Zusammenfassung
Herausforderung für einen derart begabungsorientiert konzipierten Unterricht in der Primarstufe ist es, für die jeweilige Lerngruppe ein passgenaues Arrangement zu finden. Adäquate Unterrichtsinhalte sind zu erschließen mit Lehr- und Lerntechniken, die das Denken unterstützen. Durch die Offenheit der Aufgabenformate wird es möglich, alle Kinder einer Klasse bei ihren Begabungen abzuholen und sie individuell zu fördern.
Literatur
- BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND KULTUS, WISSENSCHAFT UND KUNST (Hrsg., 2014): LehrplanPLUS Grundschule. Lehrplan für die bayerische Grundschule. München.
- GÜNTHER, C. & A. JAHREIß (2015): Begabungsorientierte Unterrichtsgestaltung in GW-Fächern. Online-Portal „Besonders Begabte finden und fördern“ der Akademie für Lehrerbildung und Personalführung. Dillingen.
- http://besondersbegabte.alp.dillingen.de/index.php/unterricht/unterrichtsgestaltung/gw-faecher (29.10.2015)
- SCHULER, S. (Hrsg., 2013): Diercke. Methoden 2. Mehr Denken lernen mit Geographie. Braunschweig.
- VANKAN, L. (Hrsg., 2007): Diercke. Methoden 1. Denken lernen mit Geographie. Braunschweig.