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Dr. Stefan Seiler

 

Europaweit werden psychiatrische Störungsbilder mit Hilfe eines Klassifikationssystems in verschiedene Kategorien eingeteilt. Dieses Klassifikationssystem - die International Classification of Deseases (ICD) – ist multiaxial. Das bedeutet, dass – auf einen Patienten bezogen - Ausprägungen auf sechs verschiedenen Achsen eingeschätzt werden. Diese Achsen sind (vgl. Remschmidt, H. et al., 2001):

 

  1. Klinisch-Psychiatrisches Syndrom (Achse I): Hier sind die klinischen Störungsbilder im engeren Sinne zusammengefasst, z. B. Depressionen, Angststörungen, o.a.

  2. Entwicklungsstörungen und Teilleistungsstörungen (Achse II): Hier sind Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit in zentralen kognitiven Bereichen zusammengefasst (Sprache, Motorik, schulische Fertigkeiten), z. B. Lese-/Rechtschreibstörung oder Sprachentwicklungsstörungen

  3. Ausprägungen der Intelligenz (Achse III)

  4. Körperliche Symptomatik (Achse IV): Hier sind alle somatischen Befunde zusammengefasst

  5. Assoziierte aktuelle abnorme psychosoziale Umstände (Achse V): Hier werden systemische Lebensbedingungen aufgezählt, wie z. B. die Trennung von Eltern, Kritische Lebensereignisse oder andere, schädigende Erziehungsbedingungen

  6. Globale Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus (Achse VI): Auf dieser Achse erfolgt eine Gesamteinschätzung des Patienten durch den Diagnostizierenden, in die sowohl krankheitsrelevante Aspekte wie auch Ressourcen des Patienten eingehen und gewichtet werden.

 

Besonders relevant für die weiteren Darstellungen ist Achse I, auf der alle beschriebenen psychiatrischen Störungsbilder kodiert sind. Hierbei werden (Erwachsenen-)Diagnosen (F1-F7) von jenen Störungsbildern unterschieden, die bei Kindern und Jugendlichen auftreten (F9-Diagnosen).  Als Diagnostizierender ist man angehalten, bei Kindern und Jugendlichen möglichst nur letztere anzuwenden. Nur dann, wenn sich ein Störungsbild hier nicht befriedigend abbilden lässt (wie z. B. bei den Essstörungen), darf man bei der Diagnose auf die Störungsbilder für Erwachsene zurückgreifen.

Eine Besonderheit stellen die tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (F8) dar, in der Störungen des autistischen Spektrums zusammengefasst sind.

Eine weitere Besonderheit sind die Persönlichkeitsstörungen (F6), die eigentlich erst ab einem Lebensalter von etwa 20 Jahren als diagnostische Kategorie verwendet werden dürfen. Hier stellt die „emotional instabile Persönlichkeitsakzentuierung“ (F60.3) mit den Unterscheidungen „…impulsiver Typus“ (F60.30) und „…Borderline Typus“ (F60.31) eine Ausnahme dar, da sie bereits ab einem Lebensalter von 14 Jahren als Diagnose Anwendung findet, jedoch als Persönlichkeitsakzentuierung, nicht –störung. Dies hat sich etabliert, weil sich durch eine frühzeitige Behandlung dieser Persönlichkeitsakzentuierung (vgl. Linnehan, 1996) häufig die Entwicklung der entsprechenden Persönlichkeitsstörung im Erwachsenenalter verhindern lässt.

Im schulischen Rahmen von besonderer Relevanz sind des Weiteren die auf Achse II beschriebenen „Umschriebenen Entwicklungsstörungen“. Hierunter werden Sprachstörungen, motorische Störungen und Teilleistungsstörungen - Lese-/Rechtschreibstörungen und Rechenstörung - verstanden, bzw. kombinierte Formen dieser Störungsbilder.

  • Für die Einordnung von Symptomen ist auch das auf Achse III beschriebene Intelligenzniveau wichtig, sowie die Achse V, auf der eine Reihe von psychosozialen Umständen beschrieben werden, die Einfluss auf den Interaktions- und Kommunikationsprozess eines Kindes bzw. Jugendlichen mit seiner Umwelt haben (vgl. „Konzept der Passung und Passungsprozesse aus systemischer Sicht“).

Für die weitere Diskussion ist außerdem eine Unterscheidung hilfreich, die im klinischen Kontext zwischen den sog. „externalisierenden“ und den „internalisierenden Störungsbildern“ getroffen wird (vgl. Ihle et al., 2002). So stellen die „externalisierenden“, nach außen gerichteten Störungen für die Dynamik innerhalb der Klasse die größte Herausforderung dar: Zu ihnen gehören hyperkinetische und Sozialverhaltens-Störungen. Aber auch die „internalisierenden“, also nach innen gerichteten Störungen, können große Sorge bereiten und fordern unsere Verantwortung für unsere Schülerinnen und Schüler in starkem Maße. Zu diesen Störungen gehören: Depression, Angststörungen, Somatoforme Störungen, Essstörungen, u.a.