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T. Berthold und S. Gagel 

 

Begabungen im MINT-Bereich fördern – Der naturwissenschaftliche Erkenntnisweg als kreativer Prozess

Der Beitrag enthält Ausschnitte aus der Publikation „Förderung von Kreativität im mathematisch – naturwissenschaftlichen Unterricht“ (Akademiebericht Nr. 498, 2014)

I. Einführung

In den MINT-Fächern ist das Experimentieren als Erkenntnismethode ein idealer Weg, um Begabungen und kreative Prozesse von Kindern und Jugendlichen über forschende Tätigkeiten zu fördern. Über Aufgabenstellungen und Experimente kann der Unterricht erweitert und variiert werden, um die Kreativität von Schülerinnen und Schüler in den Fokus zu rücken.

Das forschend-entwickelnde Unterrichtsverfahren ist besonders geeignet, um den naturwissenschaftlichen Erkenntnisweg als kreativen Prozess abzubilden. Die Analogie im Vorgehen wird beim Vergleich des kreativen Prozesses nach Preiser (Preiser, 2011, S. 29 ff.) mit den Schritten des naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinns deutlich.

Diese tabellarische Übersicht pdf zeigt, dass sich alle Phasen des kreativen Prozesses im Unterrichtsgang wiederspiegeln können. Lediglich die Distanzphase (das „Liegenlassen des Problems“) ist möglicherweise bisher nicht als eigenständige Phase bewusst geplant worden. Sie kann auch dadurch vorhanden sein, dass eine mehrstündige Unterrichtseinheit automatisch Unterbrechungen erfährt oder sie wird bewusst angeleitet, indem z. B. Einzelarbeit oder stille Phasen sowie Kreativitätstechniken und Teambildungsspiele mit anderen Inhalten angeboten werden.

Eine Problemstellung im naturwissenschaftlichen Unterricht kann von unterschiedlicher Natur sein, z.B.

  • eine Fragestellung, die sich aus den aktuellen Unterrichtsinhalten ergibt und mit naturwissenschaftlichen Methoden und Denkweisen beantwortet werden kann
  • ein Alltagsphänomen, das die Frage nach einer Lösung aufwirft
  • ein Denkansatz
  • ein zu planendes Experiment
  • die Optimierung oder Herstellung eines (technischen) Produkts.

Als Ergebnis des Prozesses entsteht ein kreatives (Lern-) Produkt. Auch dieses kann vielfältige Formen haben, z.B.:

  • die Lösung einer Fragestellung
  • ein erfolgreich geplantes und angefertigtes Produkt
  • das Finden eines (für den Schüler) unbekannten, experimentellen Lösungswegs.

Im Rahmen der Vorbereitung der Unterrichtseinheit ist es sinnvoll, dass die Lehrkraft für sich reflektiert, welche Art von Problem vorliegt und welche grundsätzlichen Lernprodukte zu erwarten sind.

 

II. Rolle der Lehrkraft

Ein kreativitätsfördernder MINT-Unterricht erfordert von der Lehrkraft eine große Offenheit und die Bereitschaft, Lehren und Lernen unter dem Fokus Kreativität zu beobachten, zu reflektieren und zu hinterfragen. Anregungen dazu finden Sie unter Unterrichtsbeispiele MINT sowie in den Anlagen 1 und 2 der Publikation „Förderung von Kreativität im mathematisch – naturwissenschaftlichen Unterricht“ (Akademiebericht Nr. 498, 2014).

Die Lehrkraft steuert, strukturiert und begleitet den kreativen Prozess im forschend-entwickelnden Unterricht, da sich Kreativität besonders gut im Rahmen forschenden Lernens entfalten kann. Nach der Definition von Mayer & Ziemek stellt forschendes Lernen „eine spezifische Lernaktivität dar, bei der sich Lernende mittels eines wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses zugleich Lerninhalte und Erkenntnismethoden aneignen. Forschendes Lernen zeichnet sich aus durch Orientierung an authentischen Problemstellungen, Offenheit und Selbstständigkeit. Auch Kommunikation und Kooperation können geübt werden.“ (Mayer & Ziemek, 2006, S. 7).

Ein Kreativität ermöglichender Prozess entsteht, wenn den Schülern Wege und Mittel zur Lösung ihrer Fragestellung subjektiv unbekannt sind, d. h. sie nutzen Kreativität und Phantasie zur Entwicklung neuer Lösungsansätze. Im Sinne eines offenen und eigenständigen Lernens wird Freiraum für die individuellen Vorgehensweisen und Interessen der Schüler geschaffen.Die Ergebnisoffenheit bei Themenfindung und Durchführung fordert ein hohes Maß an Flexibilität in der Unterrichtsorganisation und eine Lehrerkraft, die als Lernbegleiter und Moderator agiert. Der Lehrer unterstützt und begleitet in dieser Rolle die Lernprozesse seiner Schüler und sorgt für ein förderliches Lernumfeld.

 

Ist diese Art des Unterrichtens für die Schüler ungewohnt, empfiehlt sich eine schrittweise Einführung. So können naturwissenschaftliche Fragestellungen nach und nach geöffnet werden, bis eine sehr eigenständige, schülerzentrierte Form des Unterrichtens erreicht ist.

Folgendes Vorgehen ist sinnvoll:

  • eine vorstrukturierte, lehrergelenkte Fragestellung, bei der die Lehrkraft das Problem/die Fragestellung, die Methodik und die Materialein den Schülern zur Verfügung stellt
  • angeleitetes Entdecken, bei dem die Schüler die Fragestellung und das benötigte Material erhalten und eigenständig Methoden zur Problemlösung entwickeln
  • freies Forschen, bei dem die Schüler den gesamten naturwissenschaftlichen Erkenntnisweg selbstständig erforschen und erarbeiten

Die Übergänge zwischen den Formen sind fließend und richten sich nach dem Stand und den Bedürfnissen der jeweiligen Schülergruppe. Die Entwicklung von Kreativität nimmt mit der Offenheit der Aufgabenstellung und steigender Schülerzentriertheit zu.

Tabelle 1

III. Beurteilung und Bewertung


Weiterhin stellt sich für die Lehrkraft die Frage nach der Bewertung des kreativen Produkts. Das kreative Produkt kann vielfältige Formen haben. Eine kreative Leistung kann z. B. sein:

  • die Lösung einer Fragestellung
  • ein erfolgreich geplantes und angefertigtes Produkt
  • das Finden eines - dem Schüler -unbekannten, experimentellen Lösungswegs.

Es wird empfohlen, Lern- und Leistungsphasen bei der Beurteilung und Bewertung sorgfältig zu trennen. Der kreative Prozess soll nicht bewertet werden, nur das Produkt und ggf. die Präsentation der Ergebnisse. Bei der Bewertung durch den Lehrer können auch Schülerbewertungen mit einbezogen werden.
Folgende Kriterien können die Qualität bzw. das Ausmaß der erreichten Kreativität beschreiben und bei der Beurteilung sowie Bewertung des Produkts berücksichtigt werden:

  • Neuartigkeit (die Schüler kannten den Lösungsweg bisher nicht)
  • Sinnhaftigkeit
  • Akzeptanz

Im naturwissenschaftlichen Kontext können die Kriterien Sinnhaftigkeit und Akzeptanz zusammengefasst werden. Es ist zu erwarten, dass ein Produkt, das sinnvoll und akzeptiert ist, die allgemeingültigen naturwissenschaftlichen Kriterien erfüllt (z.B. Variablenkotrolle, es liegt eine naturwissenschaftlich zu beantwortende Fragestellung vor).

Die Präsentation kann zum Beispiel nach folgenden Kriterien beurteilt und bewertet werden:

  • Art und Angemessenheit der Darstellung
  • Fehlerdiskussion wird geführt
  • adressatengerechte Aufbereitung.

Und nicht zuletzt fungiert der Lehrer selbst als Vorbild. Kreativ handelt er dann, wenn er zum Beispiel

  • ungewöhnliche Vorschläge von Schülern ernst nimmt und wertfrei betrachtet
  • mit den Schülern kreative Ideenvorschläge entwickelt
  • sich selbst von etablierten Mustern löst
  • flexibel reagiert
  • improvisiert.

 

IV. MINT-Begabungen im regulären Unterricht und in Arbeitsgemeinschaften fördern

In der Publikation „Förderung von Kreativität im mathematisch – naturwissenschaftlichen Unterricht“ werden knapp 30 Unterrichtskonzepte für die Fächer Biologie, Chemie, Physik, Natur und Technik vorgestellt. Diese können in unterschiedlicher organisatorischer Form eingesetzt werden. Die Anwendung sollte nicht nur in Arbeitsgemeinschaften erfolgen, sondern auch Bestandteil des regulären Unterrichts sein. Ausgehend von bestehenden Unterrichtskonzepten können Unterrichtsstunden mit dem Fokus auf Kreativitätsförderung je nach Lehrplanthema und Lernsituation in der Klasse mehr oder weniger häufig eingesetzt werden. In den meisten Fällen werden die kreativen Unterrichtskonzepte etwas mehr Zeit erfordern als andere Unterrichtsformate. Ein ungefährer zeitlicher Richtwert ist in den einzelnen Unterrichtsentwürfen zu finden. (siehe unter Unterrichtsbeispiele MINT)

Zusätzlich zum regulären Unterricht ist der Einsatz kreativer Konzepte im Rahmen von Übungsstunden ideal. Der Einsatz von Spielen zur Förderung von Teambildungsprozessen (vgl. Akademiebericht Nr. 498, Kapitel 5) ist in allen Jahrgangsstufen sehr zu empfehlen. Denn Lernen und erfolgreiches Arbeiten im Team bzw. in der Klasse ist erst möglich, wenn eine offene Kommunikationskultur vorhanden ist und jeder Schüler mit seinen Vorschlägen und kreativen Ideen ernst genommen wird.

In diesem Sinne eignen sich die verschiedenen Module auch für die Qualifizierungsphase für P- und W-Seminare oder in der Ganztagesschule.

Schüler können auch im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften an die Themen kreatives Experimentieren und Projektarbeit herangeführt werden. Einen Vorschlag für eine Jahresplanung ist im oben genannten Akademiebricht zu finden. Die fachliche Ausrichtung der Arbeitsgemeinschaft kann an die jeweiligen Voraussetzungen vor Ort angepasst werden. Im Idealfall erfolgt die Betreuung der AGs durch ein Lehrerteam, so dass fächerübergreifende Gruppen angeboten werden können, die im Idealfall von Biologie-, Chemie-, Mathematik- und Physiklehrkräften konzipiert und betreut werden. Diese Arbeitsgemeinschaften eignen sich vor allem für Schüler, die an offenem Experimentieren, forschendem Lernen und an dem kreativen, experimentell spielerischen Umgang mit MINT- Inhalten interessiert sind. Ein solcher Kurs ist auch empfehlenswert als Vorbereitung für die Teilnahme an Wettbewerben wie z. B. „Jugend forscht“(dazu siehe auf diesem Portal auch hier) oder beim Angebot „Experimente antworten“ (siehe unter Wettbewerbe). 


 Literatur

Mayer J. / Ziemek H.-P. (2006): Forschendes Lernen im Biologieunterricht. In: Unterricht Biologie, Nr. 317, Seelze, 2006, S. 4–12
Preiser, S. (2011): Gestaltung eines kreativitäts- freundlichen Lernklimas. In Koop, C. und Steen- buck, O. (Hg.) Karg-Heft 2, Oktober 2011. S. 28– 35. Kreativität: Zufall oder harte Arbeit?. Berlin.

Akademiebericht Nr. 498, 2014, „Förderung von Kreativität im mathematisch – naturwissenschaftlichen Unterricht“