C. Günther, A. Jahreiß

Experimentierumgebungen mit offenen Aufgabenformaten zum Thema Hochwasser und Überschwemmungen an Flüssen

 

Zeitungsüberschriften wie „Überschwemmungen: Feuerwehr im Dauereinsatz“ (MainPost vom 30.05.2016) oder „Nach Rekord-Hochwasser, das Aufräumen hat begonnen“ (MainPost vom 14.06.2016) weisen immer wieder auf regionale Hochwasser-Vorkommen und daraus resultierende Überschwemmungen an Flüssen hin. Die durch sie verursachten Schäden nehmen zu und werden in den letzten Jahren auch größer. Hochwasserereignisse in diesen Dimensionen stellen ein nicht zu unterschätzendes Risiko für den Menschen dar. Ihre Ursachen, wie z.B. starke bzw. langanhaltende Niederschläge, Schneeschmelze, blockierende Großwetterlagen mit stationären Tiefdruckzellen oder gesättigte Böden, die kein weiteres Wasser aufnehmen können, werden daher intensiv erforscht. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren ihr Zusammenspiel sowie den Zusammenhang mit Folgen des anthropogen beeinflussten Klimawandels äußerst kontrovers. Viele warnen vor weiteren Versiegelungs- und Verdichtungsmaßnahmen der Böden, vor Abholzung von Wäldern, vor Begradigung und Kanalisation von Flüssen sowie vor Besiedlung von natürlichen Überflutungsflächen.

 

Heterogenität und Begabungspotenzialen mit Offenheit begegnen
Mit den Auswirkungen derartiger Hochwasserereignisse werden die Schülerinnen und Schüler vor Ort und damit in ihrer unmittelbaren Lebenswirklichkeit konfrontiert. Kinder haben ein natürliches Interesse daran, Ursachen zu erforschen, zu verstehen und ihren persönlichen Beitrag zur Vermeidung oder Verminderung zu leisten. Aufgabe der Schule ist es, diesem kindlichen Forscher-, Entdecker- und Handlungsdrang gerecht zu werden. Antworten auf ihre Fragen finden Kinder beispielsweise in Lernumgebungen zum Experimentieren, die altersgemäß den Blick auf Starkregenereignisse lenken.
Eine besondere Herausforderung für die Lehrkraft stellen hierbei die Heterogenität und die unterschiedlichen Begabungspotenziale der Schülerinnen und Schüler dar. Dieser kann mit Offenheit bei der Gestaltung von Lehr- und Lernarrangements mit derartigen Experimentierumgebungen begegnet werden.

 

Erforschen geographischer Phänomene durch offenes Experimentieren
Dies bedeutet, Methoden kooperativen Lernens zu favorisieren und offene Aufgabenformate zu wählen, die ein Bearbeiten auf unterschiedlichem Leistungsniveau ermöglichen. Hierfür sind verschiedene Experimentierformen gut geeignet. In Anlehnung an Hartinger u.a. (2013, S. 4-7) können vier Arbeitsformen des Experimentierens unterschieden werden. Abbildung 1 veranschaulicht, dass der Grad der Offenheit und das Anspruchsniveau aus der Fragestellung, der Vorgehensweise sowie dem Ergebnis resultieren. In der Unterrichtspraxis und im Sprachgebrauch der Schülerinnen und Schüler werden für alle diese Formen die Oberbegriffe Experiment bzw. Experimentieren verwendet. 

Geographisches Experimentieren in der Grundschule folgt einem festgelegten Algorithmus, wie Abbildung 2 visualisiert.  Der Realraum, also die „Welt“ im geographischen Sinn, ist sowohl Ausgangspunkt als auch Endpunkt der forschenden Auseinandersetzung: Er liefert in der Einstiegsphase der Unterrichtseinheit Impulse zu räumlichen Phänomenen und fordert am Ende der Experimentierphasen und in der Weiterführung oder Vertiefung einen Rückbezug zur geographischen Wirklichkeit.
Nach Hartinger u.a. (2013, S. 8) gliedert sich die experimentelle Lernumgebung in den dreistufigen „Phänomenenkreis“ der Begegnung, des selbstständigen Erarbeitens und der Bewährung. Mikelskis-Seifert & Wiebel (2015, S. 11) unterscheiden die verschiedenen Arbeits- und Denkweisen „Untersuchungsfrage formulieren, Hypothesen erstellen, Experiment planen, Experiment durchführen, Ergebnisse dokumentieren und Ergebnisse interpretieren“. Sie können diesem Kreislauf zugeordnet werden.

 

Lehrplanbezug des Unterrichtsbeispiels
Im bayerischen LehrplanPLUS HSU sind für Jahrgangsstufe 3/4 im Lernbereich 3 Natur und Umwelt im Kapitel 3.3 Luft, Wasser, Wetter u.a. folgende Kompetenzerwartungen (LEHRPLANPLUS GRUNDSCHULE 2014, S. 198) ausgewiesen:

Die Schülerinnen und Schüler

 

Im Lernbereich 5 Raum und Mobilität im Kapitel 5.2 Räume nutzen und schützen werden u.a. folgende Kompetenzerwartungen (LEHRPLANPLUS GRUNDSCHULE 2014, S. 200) formuliert:

Die Schülerinnen und Schüler

Als Inhalte dieser Lernbereiche werden im Unterrichtsbeispiel u.a. Wasser, seine Eigenschaften und Wirkungen und seine Zustandsformen sowie Schutz von Natur und Kultur in Räumen berücksichtigt.

Neben den angeführten inhaltsbezogenen Kompetenzen sind im Lehr- und Lernarrangement die prozessbezogenen Kompetenzen Fragen stellen, Erkennen und verstehen, Eigenständig und mit anderen zusammenarbeiten, Kommunizieren und präsentieren, Reflektieren und bewerten, Handeln und umsetzen verankert (LEHRPLANPLUS GRUNDSCHULE 2014, S. 61).

Konzeption des Lehr- und Lernarrangements mit experimentellen Lernumgebungen
Das Lehr- und Lernarrangement „Expertinnen und Experten in Aktion“ umfasst die gesamte Unterrichtseinheit. Im Sequenzplan (Abb. 3) wird deutlich, dass die verschiedenen experimentellen Lernumgebungen sich auf die Phase des Experimentierens beziehen. Im Sinne der Begabtenförderung sind die Aufträge für Expertinnen und Experten offen gestaltet.

Das hier vorgestellte Konzept spiegelt die Ideen des „Zwei-Säulen-Denkens“ von Bönsch (2015a, S. 52-53) wider, der zwischen dem „lehrergeführten gemeinsamen Unterricht“ (z.B. in der Einstiegsphase) und den „differenzierten Lernwegen“ (z.B. in den Lernumgebungen) unterscheidet. Eine Kombination der zwei Formen findet sich in der Weiterführungsphase.
Im Sinne der Binnendifferenzierung wird des Weiteren ein besonderes Augenmerk auf das „freigebende Modell“ (Bönsch 2015b, S. 53) gelegt. Im Gegensatz zum „zielorientiertem Modell“ müssen die Schülerinnen und Schüler nicht die gleichen Ziele zur selben Zeit erreichen, sondern können entsprechend ihrem Leistungsstand gefördert und gefordert werden. In dem Lehr- und Lernarrangement wechseln immer wieder Phasen der Team- und Einzelarbeit, so dass die Schülerinnen und Schüler forschend sowohl gemeinsam, aber auch allein aktiv werden.

 

Möglichkeiten der Diagnose- und Lernstandserhebungen
So sind beispielsweise nach der Phase gemeinsamen Experimentierens Expertenaufträge in Einzelarbeit zu bewältigen. Die offene Aufgabenstellung ermöglicht es den Schülerinnen und Schülern, diese entsprechend ihrer Denkleistung individuell zu lösen. Als Beurteilungskriterien werden Komplexität, Kausalzusammenhang, Fachterminologie, Transfer/Abstraktion und Kreativität (Abb. 4)  herangezogen.
Die Lehrkraft überlegt sich im Vorfeld einen Erwartungshorizont und legt eine Höchstpunktzahl für jedes Kriterium fest. Bei Abweichungen werden entsprechende Punkte abgezogen. Zusatzpunkte ermöglichen der Lehrperson, flexibel auf kreative oder besonders beeindruckende Denkleistungen zu reagieren. Durch diese personenbezogene Lernstandserhebung ist es möglich, den Beurteilungsbogen zur Leistungsbewertung heranzuziehen und eine Note zu vergeben (ISB & BSBKWK 2017b).
Ein individuelles Feedback wird auf dem Rückmeldebogen an die Expertin oder den Experten in Aktion (Abb. 5) festgehalten und dient der Weiterentwicklung sowie Förderung entsprechender fachbezogener Kompetenzen auf unterschiedlichen Begabungsniveaus.

 

Fazit
Im vorgestellten Unterrichtsbeispiel zu einem geographisch relevanten Thema der Jahrgangsstufe 3/4 wird der zunehmenden Heterogenität und der unterschiedlichen Begabungspotenziale der Schülerinnen und Schüler durch Offenheit auf verschiedenen Ebenen Rechnung getragen: Der Wechsel von lehrergelenktem und offenem Unterricht sowie eine freigebende, begabungsorientierte Binnendifferenzierung mittels offener Aufgabenformte, kooperativer Methoden und Phasen der Einzelarbeit ermöglicht eine individuelle Leistungsbeurteilung. So werden Kinder entsprechend ihrer Kompetenzen auf unterschiedlichen Niveaus gefördert und gefordert.

 

 Literatur

 

Link